Joseph Roth,
Das Spinnennetz
Der Roman spielt zur Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus und beschreibt den Werdegang des Theodor Lohse, der aus einfachen Verhältnissen stammt. Noch als Student arbeitet er zunächst bei einer reichen jüdischen Familie als Hauslehrer, wo er sich heimlich in die Dame des Hauses verliebt. Dennoch ist er antisemitisch eingestellt und lässt sich mit Freuden abwerben - obwohl er zunächst nicht weiß, was seine neue Stellung überhaupt ist:
Lohse spioniert, denunziert (oft ohne jegliche Grundlage) und saugt sich Verschwörungstheorien aus den Fingern, die er an eine nationalistisch eingestellte Zeitung verkauft. Er hält beim Militär den Rang eines Leutnants inne und ist an der blutigen Niederschlagung von "Aufständen" beteiligt.
BewertungRomane von Joseph Roth abschließend zu bewerten finde ich persönlich allgemein sehr schwierig. Der Roman ist von 1923 und greift definitiv die zentralen Themen seiner Zeit auf (siehe oben). Der Autor heroisiert seinen Protagonisten nicht, er beschreibt eine grausame Wirklichkeit, wie sie durchaus stattgefunden haben könnte - obwohl die Gausamkeit kaum hervorgehoben wird. Gerade das macht den Roman so authentisch und gleichzeitig auch erschreckend: Es muss nicht immer ein Horrorfilm sein, der den eigentlichen Schrecken darstellt. Im Gegenteil, die Alltäglichkeit und Beiläufigkeit des Handelns Lohses spiegelt sehr gut die Wirklichkeit des NS wider.
Wenn man genauer in den Text hineinschaut und sich Zeit für die Formulierungen lässt, entdeckt man viele Anspielungen und Hinweise, viele "Sprüche", die sich auch verallgemeinern lassen und Details, die den Leser nachdenklich stimmen. Diese Aussagen kann man auch auf die anderen Romane von Joseph Roth beziehen, es sollte dennoch an dieser Stelle erwähnt werden.
Der Titel "Das Spinnennetz" tritt im Roman selbst nicht direkt in den Vordergrund. Allerdings wird an (glaube ich) zwei Textstellen sehr wohl auf eine Spinne und deren Netz verwiesen - als beiläufige Erwähnung, wie beides eben im Zimmer hängt und nach einer Saubermach-Aktion verschwunden sind. Kleinigkeiten, nach denen man suchen muss.
Der Titel ist im übertragenden Sinne jedoch sehr passend: Immer tiefer wird der Leser in die verworrene Landschaft des Settings hinein gezogen, immer weiter verstrickt sich der Protagonist Lohse in sein eigenes Konstrukt aus Halbwahrheiten und Lügen und verwickelt sich damit in zahlreiche Situationen, bei denen ich jedes Mal denke: Warum?
Man muss den Stil mögen, die ggf. die Entstehungszeit bedenken und sich in das Thema und die Geschichte hinein denken können - dann allerdings ist "Das Spinnennetz" ein absolut spannender Roman, den man gerne mehrmals liest. Und der bei jeder Lektüre neues von sich enthüllt.